Bild: Julia Steinberg-Böthig
momente Serien

Der Buchhüter von Lüneburg

Einen Zeitsprung in die 50er Jahre erfahrt ihr im schönen Lüneburg.

Dieser Laden ist anders, das fällt schon beim Eintreten auf. In der kleinen Gasse auf dem Wüstenort Nummer 6 in Lüneburg betritt der Gast das „Wohnzimmer“ von Kevin Groth – und eine andere Zeit. Hier stehen gemütliche Sessel, auf kleinen Tischen und Regalen reihen sich Bücher. Ein Teppich in der Mitte des Raumes vermittelt Gemütlichkeit. Zwischen den liebevoll arrangierten Büchern stehen ein Kofferplattenspieler und eine Schreibmaschine. Der Verkaufstresen besteht aus weiteren Bücherreihen. In einer anderen Ecke stehen zwei Cocktailsessel vor einem schwarz-weiß Fernseher. Die US.-amerikanische Fernsehsendung „What’s my life?“ flimmert über den kleinen Bildschirm. Es ist ein Zeitsprung in die 50er Jahre.
Kevin Groth steht in der Mitte des Raumes: Weste, Hemd, Taschenuhr, Brille, Vollbart. Er lächelt. Hier lebt er seinen Traum, das sieht man ihm an.

Bücher bewahren für ein zweites Leben

„Ich bin der Buchhüter“, sagt er ganz ohne Pathos. Es gehe ihm um das Bewahren des Wissens und der Welt, die in den Büchern schlummern. Seine Bücher warten hier darauf, ein neues Wohnzimmer beziehungsweise einen neuen Besitzer zu finden. „Jedes Buch verdient ein Zuhause. Denn sie beherbergen Geschichten, die es Wert sind, an sie zu erinnern. Bücher verdienen es nicht, auf Dachböden oder Kellern in Umzugskartons in Vergessenheit zu geraten. Deshalb habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, sie zu behüten, bis sie für ein zweites, drittes oder viertes Leben bei anderen Menschen unterkommen“, sagt der 31-Jährige.

In den Regalen findet der Bücherfreund alles, bis auf medizinische Werke, Kochbücher, Bücher über Psychologie und Theologie. Gedichtbände, Klassiker, Belletristik, Krimis, Science Fiction, Bildbände, englisch-sprachige Bücher und welche über Politik und Geschichte sowie Antiquarisches. „Ich verkaufe Bücher, kaufe aber auch besondere Ausgaben und Bände an“, sagt der Buchhüter. „Ich möchte meinen Gästen hier aber auch eine kleine Auszeit vom Alltag bieten. Einen Zufluchtsort in die Welt der Bücher.“ Hier könne man sich auch einfach nur setzen und schmökern, so Kevin Groth.

Vom Kellner zum Buchhüter

Geboren und aufgewachsen ist Kevin Groth in Stralsund. Lange hat er ein Vagabundenleben geführt. „Ich habe keine Ausbildung gemacht, aber schon immer viel gelesen und sehr viel gelernt.“ Er heuerte auf der Gorch Fock an, später jobbte er in der Gastronomie, war in einem Spielzeuggeschäft beschäftigt, später wars ein Bio-Laden. Nach Lüneburg kam Kevin Groth, als seine heutige Ehefrau ihr Studium vor sechs Jahren hier aufnahm. Sie war es auch, die ihn dazu ermutigte, sich seinen Jugendtraum zu erfüllen. „Sie sagte mir, es wäre jetzt an der Zeit, sonst würde ich später irgendwann sagen: ,Ach, hätte ich mal…’.“. Am 1. April diesen Jahres eröffnete Kevin Groth als Buchhüter seinen Laden. Doch er möchte seinen Büchern noch mehr Raum geben. „Anfang September soll es die erste Lesung hier geben. Auch Schwarz-weiß-Filmabende mit Popcorn möchte ich veranstalten. Für Kinder plane ich besondere Aktionen wie Lesezeichen basteln aus alten Buchseiten.“

Wer den Buchhüter kennenlernen möchte, der ist herzlich eingeladen, ihn in seinem „Wohnzimmer“ zu besuchen. Geöffnet ist von dienstags bis freitags, jeweils von 11 bis 17 Uhr, samstags bis 16 Uhr.

Weitere Infos findest du hier:

So kommst du hin:

Zu Fuß erreichst du den Buchhüter vom Bahnhof aus in 10 Minuten in seinem Laden Auf dem Wüstenort Nummer 6.
RE3, RB31
Lüneburg

Julia vom metronom

Julia ist seit mehr als 20 Jahren freiberufliche Journalistin. Sie liebt Ausflüge, gutes Essen und ihre Familie. Mit ihnen unternimmt sie nahezu jedes Wochenende Kurztrips in die Region, über die sie dann gern auch schreibt.

Das könnte dir auch gefallen

metronom Realtalk
Die Zeiten, in denen die menschliche Notdurft durch ein Fallrohr auf die Gleise plumpste, sind vorbei. Auch die Wagen des metronom verfügen über ein geschlossenes ...