Bild: Julia Steinberg-Böthig
Ausflugstipp

Der Medicus von Lüneburg

Eine Zeitreise ins Mittelalter, wo Pest und Cholera die Menschen dahinrafften, der Aderlass als allgemeines Heilmittel galt und die Lehre von den Säften zentrale Bedeutung in der mittelalterlichen Heilkunst hatte, das können Lüneburg-Besucherinnen und -Besucher bei einem Rundgang mit dem Medicus Alfonsius erleben.

Gewandet in einem weißen Kittel, mit brauner Kappe, Arzttasche in der rechten, den Aderlass-Stab in der linken Hand, kommt Alfonsius über den Lüneburger Marktplatz geschlendert. Seine Begrüßung ist herzlich, sein Auftreten professionell, seine Mission heute: einen seiner Gäste am Ende zur Ader lassen. Doch bevor das geschieht, möchte der Medicus den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Führung „sein“ Lüneburg zeigen. Eine Stadt im 14. Jahrhundert – eine Zeit, in der die Medizin geprägt war von Glaube, Aberglaube und medizinischer Tradition. „Krankheit wurde als Strafe Gottes oder als Werk des Teufels empfunden“, erklärt Alfonsius, „Heilung konnte allein von Gott kommen.“ Die Mediziner des Mittelalters, so der Medicus, gingen davon aus, dass die Gesundheit des Menschen vom ausgewogenen Verhältnis seiner vier Körpersäfte abhängig sei. Dazu zählten sie Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle. Damit die Gäste sich ein besseres Bild von den Farben der Säfte machen können, hat Alfonsius extra welche in kleinen Fläschchen abgefüllt.

Amputation, Syphilis, Pest

Der Medicus führt die Gruppe durch das Lüneburg von heute und berichtet von den Leiden damals, das die Menschen im Mittelalter heimsuchte. Auf dem Weg zum Stint macht Alfonsius, der im hier und heute wirklich ausgebildeter Mediziner ist und Alfons Saure heißt, an der Brodbänken halt. „Wisst ihr, was das Antoniusfeuer ist?“ Die Gäste zucken ratlos mit den Schultern. Heute weiß so gut wie niemand mehr, was im Mittelalter sehr häufig schweres Leid und mitunter den Tod brachte. „Das ist eine Vergiftung durch den Pilz Mutterkorn, der sich in Getreideehren festsetzt. Im Mittelalter haben die Leute diesen Pilz aus Unwissenheit mit verzehrt. Das Antoniusfeuer trat als tödliche Krankheit auf, die von einem inneren Feuer begleitet wurde. Unsagbare Schmerzen in den Gliedmaßen“, erklärt der Medicus. Eine Gefäßverstopfung ließ Arme und Beine taub werden. „Aderlass half da nicht mehr, mit Glück nur noch eine Amputation, wenn man die überlebte.“
Über Koltmannstraße vorbei an der St. Nicolai-Kirche geht es Richtung Stint. Nebenbei erläutert Alfonsius das Entstehen der Syphilis. „Die trat 1493 erstmals in Lüneburg auf, wurde von Seefahrern eingeschleppt und nervte Freier und Hübschlerinnen – die mittelalterlichen Prostituierten – gleichermaßen.“ Behandelt wurde das Leiden, das zuerst die Geschlechtsorgane befiel, mit Quecksilber. Das jedoch nicht heilte und oft zu schweren Vergiftungen führte.

Die große Pestwelle suchte 1347 Europa heim. 1350 kam sie auch nach Lüneburg. „Sechs Jahre wütete die Krankheit. Rund 200 Millionen Europäer starben, in Deutschland waren es 25 Millionen Menschen“, so der Medicus.
Eines wird nach rund 90 Minuten durch Lüneburg klar: Im Mittelalter war der Glaube, Krankheit, Leid und Tod täglich und allgegenwärtig. Die Medizin steckte noch in ihren Anfängen. Krankheiten wurden mit Tränken, Salben und Aderlass behandelt. Bei Hautkrankheiten und Entzündungen wurden unter anderem Schwefel und Quecksilber gereicht. Auf Brandwunden gab man eine Salbe aus Schweineschmalz. Amputationen wurden mit siedendem Öl behandelt. 

Beliebte Behandlungsmethode Aderlass

Am Ende will Alfonsius natürlich sein Versprechen vom Anfang einlösen: Ein Freiwilliger soll zur Ader gelassen werden. Die Werkzeuge dafür: Aderlassklinge, ein Gefäß, eine Lederschlinge und der Aderlass-Stab. Teilnehmer Matz Peter Ponocny erklärt sich mutig bereit. Er muss den Stab fest in der Faust halten, während Medicus Alfonsius ihm den Oberarm abbindet. Dann zückt er eine doch recht rostig aussehende kleine Klinge und hält ein Gefäß unter Ponocnys Arm. „Wir zapfen 300 Milliliter Blut ab, das kannst du gut verkraften“, lächelt Alfonsius. Doch bevor es zum Schnitt kommt, hält er inne. „Sag mal, kannst du mich eigentlich bezahlen?“ Matz Peter Ponocny schüttelt etwas eingeschüchtert den Kopf. „Dann vergiss es, meine Dienste gibt es nur gegen bare Münzen.“

Und so zieht Medicus Alfonisus von dannen. Bei seiner nächsten Führung wird er sicherlich wieder sein gutes Werk tun wollen – gegen Bezahlung, versteht sich.

Weitere Infos findest du hier:

So kommst du hin:

Vom Bahnhof sind es nur etwa 10 Minuten zu Fuß bis zur Tourist-Information am Markt. Mit dem Bus (Linie 5005) kannst du direkt vom Bahnhof zum Markt fahren (Haltestelle: Rathaus).
RE3, RB31
Lüneburg

Julia vom metronom

Julia ist seit mehr als 20 Jahren freiberufliche Journalistin. Sie liebt Ausflüge, gutes Essen und ihre Familie. Mit ihnen unternimmt sie nahezu jedes Wochenende Kurztrips in die Region, über die sie dann gern auch schreibt.

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